Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, attr., Mädchenportrait
Kopfbildnis eines Mädchens mit Turban, im Halbprofil vor dunklem Grund, auf den ersten Blick wird die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die ungewöhnliche Kopfbedeckung der jungen Frau gelenkt, welche im Gegensatz zur Malerei so ganz und gar nicht mitteleuropäischer Tradition entspricht und orientalisch anmutet, erst auf den zweiten Blick wird man des wachen, forschenden Blickes gewahr, den uns die Dargestellte schenkt, lasierende, teils minimal pastose Malerei, Öl auf Leinwand, das um 1815 entstandene Gemälde ist unsigniert, dürfte aber wohl von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein stammen, möglicherweise zeigt es eine der fünf nach 1805 geborenen Töchter des Künstlers, die er oft portraitierte, so bemerkt die Gemäldegalerie Alte Meister Kassel zu einer um 1820 entstandene Ölstudie seiner Tochter Ernestine (1806–1884): ”Tischbeins Töchter standen ihrem Vater wiederholt Modell. Ölskizzen dieser Art hat Tischbein häufig für seine Historienbilder verwendet.”, das Germanische Nationalmuseum Nürnberg verwahrt ein um 1810 entstandenes Bildnis eben jener Tochter, beide Portraits weisen frappierende Ähnlichkeiten zu unserem Portrait auf, der gerade dargestellte Übergang von der Stirn zur breit ansetzenden Nase ist bei allen Gemälden identisch, auch die Modellierung der Mundpartie, die feine Behandlung des porzellanartigen Inkarnats, der geröteten Wangen und der ungebändigt fallenden, fein akzentuierten Haare ist, wie die schlicht behandelte Kleidung samt Hintergrund, vergleichbar, betrachtet man diverse Portraits des Künstlers, wie z.B. das 2012 bei Koller in Zürich versteigerte Portrait des Ernst Friedrich Herbert Graf zu Münster, so fällt eben diese Vorgehensweise auf, die den akkuraten, fein lasierend festgehaltenen Gesichtszügen mehr Aufmerksamkeit widmet als der flott, meist pastos skizzierten Kleidung nebst Hintergrund, hierzu bemerkt Alfred Lichtwark 1898 in ”Das Bildnis in Hamburg”: ”... (seine Malerei) lässt noch erkennen, wie keck der Künstler die Farbe hingesetzt hat. Von der ängstlichen Vernichtung jeder Spur des Pinselstriches ist nicht die Rede.”, auch der Turban des Mädchens könnte auf Tischbein verweisen, 1768 malte Anton von Maron (1731–1808) sein berühmtes Portrait des Begründers der wissenschaftlichen Archäologie, Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), im Hausmantel, Tischbein schuf wohl nach Marons Tod 1808 eine Kopie des Gemäldes, das heute im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg verwahrt wird, Tischbein musste sich hier auch mit der turbanartigen Kopfbedeckung des Gelehrten auseinandersetzen, die in abgewandelter Form unser Gemälde ziert, als weitere Inspirationsquelle für vorliegendes Gemälde dürfte jenes 2011 bei Bohams versteigerte Mädchenportrait gedient haben, das dem Umkreis von Angelika Kauffmann (1741–1807) zugeordnet wurde, es ähnelt dem hier angebotenen Gemälde stark, zeichnet sich jedoch durch eine detaillierter erfasste Kleidung aus, rückseitig auf dem Keilrahmen Annotation ”stammt aus Schloss Salzdahlum bei Braunschweig” und Eigentümervermerk ”Elisabeth Wruck geb. du Roi, Gleiwitz O. S., Schillerstr. 5 oder Braunschweig, Allerstr. 36 II” sowie rote Siegelwachsreste, geringe Craquelure, minimale Altersspuren, im originalen, spätklassizistischen Goldstuckrahmen, Falzmaß: ca. 40,5 x 34,5 cm. Künstlerinfo: genannt ”Goethe-Tischbein” oder ”Neapolitaner Tischbein”, dt. Maler, Radierer, Altertumsforscher, Kunstsammler und Literat (1751 Haina/Hessen bis 1829 Eutin/Schleswig-Holstein), entstammte der hessischen Malerfamilie Tischbein, zunächst Schüler seines Onkels Johann Heinrich Tischbein dem Älteren in Kassel, ab 1766 Schüler seines Onkels Johann Jacob Tischbein in Hamburg, 1772–73 Studienreise nach Holland, ab 1777 Portraitist in Berlin, 1778 Mitglied der Berliner Freimaurerloge ”Zur Eintracht”, 1779–81 Italienaufenthalt mit Stipendium der Akademie Kassel, anschließend in Zürich, danach in Kassel tätig, auf Vermittlung Johann Wolfgang von Goethes Gewährung eines Stipendiums des Herzogs Ernst II. Ludwig von Sachsen-Gotha-Altenburg und 1783 –99 erneuter Italienaufenthalt, 1786 reiste Goethe nach Rom und wohnte eine Zeit lang in der gemeinsamen Wohnung von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Johann Georg Schütz (1755–1813) und Johann Friedrich Bury (1763–1823), in dieser Zeit begann Tischbein mit dem Portrait ”Goethe in der Campagna”, das seinen Nachruhm sichern sollte, 1787 begleitete Tischbein Goethe nach Neapel, um schließlich kurz nach Rom zurückzukehren, 1789–99 Direktor der Accademia di Belle Arti in Neapel, anschießend Rückkehr nach Kassel, danach in Göttingen Gründung einer ”Zeichenakademie für Damen”, 1801 Übersiedlung nach Hamburg, freundschaftlich verbunden mit Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel (1739–1807), ab 1808 Hofmaler am Hofe des Prinzregenten von Oldenburg Peter I. in Eutin, Quelle: Thieme-Becker und Wikipedia.